wissen1

Wissenswertes

Hörsystemanpassung

 

Hörsystemanpassung

Begriffsbestimmung EN60118-7

 

REAG      Real ear aided gain – Verstärkung im Ohr mit Hörgerät

REAR      Real ear aided response  – Schalldruck im Ohr mit Hörgerät

REIG       Real ear insertion gain  – Schalldruckzunahme in RESPL im Vergleich zum unversorgten Ohr (REIG=REAR–REUR)

REIR       Real ear insertion response  – Diese Bezeichnung wird nicht verwendet

REOG     Real ear occluded gain  – REOR-REUR (Verlust durch Occlusion)

REOR     Real ear occluded response – Schallpegel im verschlossenen Ohr (Hörgerät ausgeschaltet, Gehörschutz)

RESPL   Real ear SPL – Schalldruckpegel im Ohrkanal, 5mm vor dem Trommelfell

REDD    Real ear dial difference – Differenz zwischen Audiometeranzeige und dem Schalldruckpegel im Gehörgang (RESPL)

RECD    Real ear coupler difference – Differenz zwischen dem Schallpegel im 2 cc Kuppler und dem im Ohr (RESPL-2ccSPL)

REUG   Real ear unaided gain – OEG oder natürliche Gehörgangsverstärkung

REUR   Real ear unaided response – OEG + Eingangspegel

 

 

Messverfahren in der Hörsystemanpassung

 

Aus der Tonaudiometrie wird aus den Luftleitungswerten, seltener unter Berücksichtigung auch der Knochenleitungswerte, eine Zielverstärkung errechnet.

Ältere Anpassregeln verwenden hier Werte zwischen Hörverlust/2 bis Hörverlust/3. Dies liegt daran, dass die meisten Hörgeräteträger eine Schallempfindungsschwerhörigkeit haben. Typisch für diese Hörminderung ist ein hoher Hörverlust an der Hörschwelle und kein Hörverlust im Bereich der U-Schwelle. Dies führt zu einem Hörverlust bei Sprachlautstärke von HV/3. Dies hat zur Folge, dass die Hörsysteme oft nicht optimal angepasst wurden.

Moderne Anpassregeln berücksichtigen, neben den verschiedenen adaptiven Möglichkeiten der Hörsysteme, auch die zugehörigen frequenzabhängigen Verstärkungswerte für unterschiedliche Eingangspegel.

Standardanpassregeln sind für den Vergleich unterschiedlicher Hersteller ein geeignetes Werkzeug, jedoch lassen sich die vielfältigen Möglichkeiten der modernen Hörsysteme am besten mit den herstellereigenen Berechnungen anpassen. Nur diese schöpfen die Potentiale gänzlich aus.

Ältere Anpassregeln waren oft reintonbasiert, auch dies ist für moderne Hörsysteme wenig geeignet, da hier oft die Sprach- und Störlärmerkennung aktiviert ist. Die Hörsysteme sollen in der Einstellung angepasst werden, in der sie dann auch später getragen werden. Hierzu eignen sich am besten sprachähnliche Signale. Reinton-Signale lassen sich exakt in Intensität und Frequenz beschreiben, daher ist ein zeitgleicher Vergleich zwischen Eingangssignal und Ausgangssignal nicht nötig. Werden jedoch Breitband- oder Sprachsignale verwendet, ist dieses aufwändigere Verfahren nötig, um aus der Differenz von Ein- und Ausgangssignal die aktuelle Verstärkung zu ermitteln.

Das verwendete Verfahren ist die Insitu Messung. Hier werden im Patientenohr dicht vor dem Trommelfell sehr dünne Schläuche platziert, diese sind mit einem Messmikrofon außerhalb des Ohres verbunden, gleichfalls außerhalb des Ohres befindet sich ein weiteres Mikrofon, welches das Eingangssignal aufzeichnet. Über dieses Mikrofon wird auch die Lautstärke des Signales gemessen und ggf. korrigiert. Dieses Verfahren wird Komperationsverfahren genannt. Technisch ginge dies auch nach dem Substitutionsverfahren, dabei spart man das Messmikrofon, muss dann aber vor der eigentlichen Messung einen Messdurchlauf starten und die ermittelten Werte ablegen. Nun wird das Eingangssignal um die gespeicherten Werte korrigiert. Hierbei darf die Positionierung nicht mehr geändert werden.

Alle beschriebenen Messungen können auch am Kuppler vorgenommen werden. Hierzu ist eine Ohr-Kuppler Differenzmessung (RECD) nötig. Dies erlaubt dann, durch Substitution, dem Kuppler weitestgehend die Eigenschaften des Ohres zu geben. Diese Messung ist in der Pädakustik üblich.

Das zurzeit am häufigsten angewendete Verfahren ist die Perzentilanalyse. Hierbei wird die Lautheitsverteilung an verschiedenen Grenzwerten ermittelt. In der zugehörigen Norm EN60118-15 wird beschrieben wie der Messablauf und -aufbau vorgenommen werden soll. Vier Kurven werden ermittelt. Das 99. und 30. Perzentil stellen die Dynamik von Sprache nach und sind fast deckungsgleich mit der Sprachbanane. Das 65. Perzentil und die LTASS (mittlere Langzeitsprachlautstärke) dienen der Anpassung auf die jeweiligen Zielverstärkungen.

Seit 2019 findet erstmals auch der Datenaustausch über die NOAH Plattform im IMC2 Standard statt.

 

 

Anpassverfahren:

Früher wurden Hörsysteme mit dem Schraubendreher und der Messbox eingestellt. Moderne Hörsysteme sind viel komplexer und bieten eine Fülle von Einstellmöglichkeiten, die mit Hilfe von Stellern nicht bewältigt werden können. Deshalb werden heute alle Geräte mit Computerunterstützung angepasst. Als Softwareplattform hat sich NOAH von der Firma HIMSA durchgesetzt. Die Firma wurde von mehreren großen Hörsystemherstellern gemeinsam ins Leben gerufen. Der Firmensitz ist in Dänemark. Als Interface zwischen Computer und Hörsystem hat sich NOAH-Link Wireless durchgesetzt. Einige Hörsystemhersteller benutzten jedoch ihr eigenes Interface.

anpassungsverfahren-5

 

Voreinstellung und Feinanpassung:

Die Voreinstellung ist die Ausgangsbasis der Hörsystemanpassung und sollte zielgerichtet durchgeführt werden. Dadurch wird die Arbeit des Hörgeräteakustikers erleichtert und der Kunde spürt, dass ein Fachmann am Werk ist. Anschließend folgt die Feinanpassung. Diese bringt das System in die Einstellung, die dem Kunden zur Bewältigung seiner Hörprobleme den größtmöglichen Nutzen bringt. Hierfür gibt es verschiedene Anpassverfahren. Der individuelle Verstärkungsbedarf kann durch verschiedene Berechnungsverfahren abgeschätzt werden. Die Verfahren werden "Anpassregeln" genannt und liefern eine oder mehrere „Zielkonstruktionen“, die das gewünschte Verstärkungsverhalten des Hörsystems beschreiben. Im Laufe der Zeit wurden entsprechend dem Stand der Hörgeräte- und Messtechnik verschiedene Anpassmethoden entwickelt.

  • Hörschwellenorientierte Verfahren wurden für lineare Hörsysteme entwickelt (z.B. HV/2, Berger, POGO, NAL R/RP, Libby).
  • Dynamikbreitenorientierte Frequenzanpassungsverfahren wurden für digitale Hörsysteme entwickelt (z.B. NAL-NL1 und NL2, DSL[i/o], Fig. 6).
  • Herstellereigene Anpassverfahren: Dies sind für die Besonderheiten der verschiedenen Hörsystemhersteller eigens entwickelte Anpassverfahren (z.B. VAC+ von Oticon oder BernaFit NL / Comfort von Bernafon).

 

IMC2 (Inter Module Communication 2 Protokoll)

Bei der Anpassung von Hörsystemen mit Hilfe von Insitu-Messungen, werden die individuell akustischen Gegebenheiten des Kunden berücksichtigt.

Der Begriff IMC2 beschreibt die Kommunikation zwischen einem Messmodul (z.B. Affinity Compact) und der Software eines Hörgeräteherstellers (z.B. Bernafon Oasis, Oticon Genie)

Ziel dieses Zusammenwirkens soll sein, einen möglichst guten, effektiven und schnellen First-Fit des Hörsystems innerhalb einer Insitu-Messung  zu erreichen.

IMC2 ist ein von NOAH international eingeführter Standard, der dieses Zusammenspiel von Fitting- und Messmodul ermöglicht.

Dies bedeutet für den Hörgeräteakustiker eine weitgehend automatische Überprüfung und Anpassung des Hörsystems, in der in kürzester Zeit das herstellereigene Anpassziel (z.B. VAC+) erreicht werden kann.

Die Vorteile auf einen Blick:

  • Automatische und manuelle Feinabstimmung und Messung.

  • Wahl zwischen der Überprüfung mittels Insertion Gain oder Speech Mapping.

  • Internationales Sprachtestsignal (ISTS).

  • Gleichzeitige Messungen auf beiden Ohren.

  • Flexible Überprüfung der Anpassung nach jeder Verstärkungsstrategie in Oticon Genie, u.a. VAC+* und NAL, oder Bernafon Oasis Bernafit.

 

rem-autofit

 

Insitu Messungen

Ziel der Insitu-Messung ist es, die individuellen akustischen Verhältnisse (Ausgangsschalldruck) in der Nähe des Trommelfells zu messen, bzw. zu beurteilen.

Stimmt der eingestellte Verstärkungswert des Hörsystems, oder muss der Wert über eine Programmierschnittstelle verändert werden?
Oder anders gefragt: Welcher Schallpegel (Ausgangsschalldruck) wird kurz vor dem Trommelfell gemessen?

Da es sich um eine objektive Messung handelt, benötigt der Proband keine Sprachkenntnisse.
Es werden alle anatomisch individuellen Gegebenheiten des Probanden berücksichtigt.


Messaufbau Insitumessungen

Um eine Insitumessung durchzuführen, wird im Regelfall ein binaurales Insitu-Headset verwendet. Dies besteht aus zwei Referenzmikrofonen und zwei Insituschläuchen (rechts-/ links).

messaufbau-frau

Der Sondenschlauch wird zur Messung und mit Hilfe einer Markierungshilfe in den Gehörgang geführt und nahe dem Trommelfell platziert. Zur Einstecktiefe haben sich folgende Standardwerte in der Praxis bewährt:

Frauen: 28 mm / Männer: 31 mm / Kinder: 20-25 mm

Die Überprüfung der Position des Sondenschlauches erfolgt mithilfe des Otoskops. Zu Beginn der Messung sitzt der Proband vor dem Insitulautsprecher, der das akustische Testsignal präsentiert (Sprachsimuliertes Rauschen, ISTS, etc.). Bevor die Messung beginnt, wird der Insituschlauch kalibirert. Dabei wird die Ausgangsseite des Insituschlauches vor dem Referenzmikrofon platziert.

 

Anpassung- Der komplette Prozess

Die Messreihe beginnt mit der Messung der offenen Gehörgangsresonanz. (REUR/REUG)

Dabei wird der Insituschlauch 2-3 mm vor dem Trommelfell platziert (ohne Hörsysteme). Mit einem geeignetem Messsignal wird bei ca. 3 kHz eine natürliche Gehörgangsverstärkung von 15-20 dB gemessen.

dasohr55

Auch eignet sich diese Messung, um die Position des Insituschlauches für weitere Messungen zu beurteilen. Dabei sollten die Messwerte im oberen und unteren Frequenzbereich im nicht negativen Bereich liegen.

Weiter wird mit eingeschaltetem Hörsystem gemessen, hierbei sprechen wir von der REAR/REAG, oder auch Insitu-Gain. Hierbei sollte darauf geachtet werden, dass die Position des Sondenschlauches nicht verrutscht.

Mithilfe eines sprachsimulierenden Signals (z.B. das ISTS) wird nun der Ausgangsschalldruck im Restvolumen des Probanden mit den Insituschläuchen gemessen. Die grafische Darstellung der Messkurve wird mit der Zielkonstruktion des Anpassverfahrens (z.B. NAL-NL2 / DSL v.5.0) verglichen und ggf. mit einer Programmiereinheit nachjustiert.

Weitere bekannte Messabläufe sind:

  • REIG Insertion Gain: Beschreibt die tatsächliche Verstärkung des Hörsystems mit Abhängigkeit der REUR/REUG. (REIG= REAR-REUR)

  • RECD Real ear coupler difference: Differenz zwischen dem Schallpegel im 2 ccm Kuppler und dem im Ohr.

  • REUG Real ear unaided gain: Natürliche Gehörgangsverstärkung

  • REUR Real ear unaided response: Natürliche Gehörgangsverstärkung + Eingangspegel

  • REOG Real ear occluded gain: Verlust durch Occlusion (REOG-REUG)

  • REOR Real ear occluded response: Verlust durch Occlusion + Eingangspegel (REOR-REUR)

 

 

Perzentilanalyse / Speechmap 2.0

Eine spezielle Anwendung der Insitu-Messungen bietet die Perzentilanalyse. Bei allen Produkten von Interacoustics wird diese als Speechmap 2.0 bezeichnet. Es handelt sich hierbei um ein genormtes und statistisches Messverfahren nach DIN EN 60118-15, Bei der die Summenhäufigkeit unterschiedlicher Pegel über einen definierten Frequenzbereich berücksichtigt wird.

Zur Anpassung und Überprüfung von Hörsystemen werden auch hier alle individuellen Eigenschaften des Probanden berücksichtigt und mit einem natürlichen Sprachsignal ( ISTS – internationales Sprach-Test-Signal ) in Trageposition des Hörsystems gemessen. 

Die 30% Perzentile (angezeigt durch den unteren Bereich der blauen Schattierung) definieren den Schalldruckpegel unter welchem 30% der gemessenen Pegel für jede Frequenz nachgewiesen werden.

Die restlichen 70% der gemessenen Schalldruckpegel sind höher. Die 30% Perzentile stellen dadurch den unteren Teil des Signals dar. Wenn dieser Bereich oberhalb der Hörschwelle ist, wird so sichergestellt, dass der leise Bereich von z.B. Sprache hörbar ist.

Die 99% Perzentile (angezeigt durch den oberen Bereich der grünen Schattierung) definieren den Schalldruckpegel unter welchem 99% der gemessenen Pegel für jede Frequenz gemessen werden.

speechmap22

 

Weiterhin werden die Hör- und Unbehaglichkeitsschwellen als zusätzliche Information im Diagramm ersichtlich. Während der Messung befindet sich das Hörsystem in natürlicher Trageposition, alle programmierten Funktionen sind aktiv. Somit wird eine schnelle und genaue Einschätzung des aktuellen Verstärkungswertes schnell sichtbar.

Die EUHA-Leitlinie zur Hörsystemanpassung mittels Perzentilanalyse finden Sie unter: http://www.euha.org/leitlinien/

 

Reale Klangwelt in der Anpasskabine

Moderne Hörsysteme bieten eine Vielzahl von Regelkreisen, wie z.B. Störschallunterdrückung, Richtungshören etc. Den Nutzen dieser Features kann der Hörsystemträger nur in einer realen Hörumgebung erkennen.

Eine Hörsystemanpassung erfolgt im Regelfall in einer schallisolierten Anpasskabine unter idealen akustischen Bedingungen. In der Realität, im täglichen Einsatz, wie z.B. die Unterhaltung mit Freunden in einem Lokal, der eigenen Wohnung oder im Straßenverkehr verhält sich jedes Hörsystem anders.

Zu diesem Zweck kommen Surround-, besser noch Positional-Audio-Systeme zum Einsatz. Diese dienen dazu akustische Umgebungen, in denen sich der Hörsystemträger täglich befinden kann, einfach und schnell in der Anpasskabine des Hörgeräteakustikers nachzubilden.

Beispiel: Positional-Audio-System SoundStudio

Hierbei werden 5 bis 7 identische Lautsprecher gleichmäßig in der Anpasskabine auf ungefähr gleicher Höhe verteilt und an einen Verstärker angeschlossen. Die Winkelgrade der Lautsprecher untereinander werden in der Steuersoftware des SoundStudio eingegeben und die ganze Anlage auf einen Zuhörer (Hörsystemträger) kalibriert. Mit Hilfe der Software kann man dann verschiedene Hörsituationen aus dem Alltag winkel- und pegelgenau nachstellen.

 

ssscs